Entanglement and Globalization in Ancient Worlds

Entanglement and Globalization in Ancient Worlds

Organisatoren
Jessika Armbrüster, Institut für Archäologien, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; Noah Kröll / Florian Posselt / Alexander Steiner / Clemens Steinwender, Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Ort
Innsbruck
Land
Austria
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
14.11.2023 - 17.11.2023
Von
Cassandra Lamche / Elisabeth Pangerl, Institut für Geschichtswissenschaft und Europäische Ethnologie, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; Hendrik W. Stanway, Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Unter dem Titel „Entanglement and Globalization in Ancient Worlds“ fand die erste vom Doktoratskolleg „Entangled Antiquities“ der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck ausgerichtete Autumn School in Innsbruck (Tirol, Österreich) statt. Sie wurde von den Bundesländern Tirol und Vorarlberg sowie von der Universität Innsbruck gefördert. In der Gesamtschau der Beiträge der Veranstaltung ergab sich eine interdisziplinäre, epochenübergreifende und teilweise globalhistorische Betrachtungsweise auf Phänomene weitgespannter Interkonnektivität verschiedener Kulturen und Epochen der Menschheitsgeschichte – vom Mittelmeerraum und Altvorderasien über Mitteleuropa bis nach Mesoamerika und in Ausschnitten sogar bis Ostasien sowie von der Späten Bronze- bis zum Anbruch der Neuzeit. Die Veranstaltung stellte sich im Laufe der Zeit mit Blick auf ihren Charakter immer mehr als eine Tagung mit angeregten und ausführlichen Diskussionen heraus und wuchs so über ihr ursprüngliches studentisches Format hinaus. Die Debatten nach den jeweiligen Vorträgen, denen im Vorfeld bewusst viel Raum zugemessen worden waren, vermochten vielfältige Verbindungen zwischen den thematisch überwiegend weit auseinanderliegenden Beiträgen der Referenten herzustellen.

Nach den Grußworten von ERICH KISTLER und ALEXANDER STEINER (Innsbruck) eröffnete LUIGI TURRI (Verona) das Programm mit einem Beitrag über die Beziehung zwischen der levantinischen Küste und seinem Hinterland im Kontext internationaler Außenpolitik während der Spätbronzezeit. Im Fokus standen die Auswirkungen des zunehmenden ägyptischen Einflusses auf die Entwicklung der Levante, spezifisch auf Amurru und Byblos. Angesichts der Knappheit lokaler Quellen stellte Turri für die frühe Geschichte der Levante verschiedene ägyptische Befunde vor, die von archäologischen Objekten wie der Kamose-Stele bis zu den Annalen der Pharaonen reichten. Für die jüngere Geschichte verwendete Turri Briefe aus dem Armana-Archiv, die verdeutlichten, dass Aussagen über die Konsequenzen des ägyptischen Einflusses getroffen werden können, obwohl die Chronologie bestimmter Entwicklungen zum gegebenen Zeitpunkt nicht nachgewiesen werden kann. Ursprünglich ein kleines Königreich und lokalisiert im Westen des Libanon-Gebirges sowie entlang des Nahr el-Kebir, war Amurru geprägt durch wiederholten Verlust und Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit vom Hetiterreich und von Ägypten. Den Höhepunkt seiner Expansion erreichte Amurru mit Beginn der Armana-Zeit mit einem Territorium, das sich zwischen Tripolis an der heutigen libanesischen Küste und dem Gebiet des Mittleren Orontes in Westsyrien erstreckte. Einen ähnlichen Kurs folgte Byblos, damals das wichtigste Handelszentrum an der Küste. Der wirtschaftliche Austausch mit Ägypten, insbesondere der Handel mit Zedernholz und Papyrus, führte zum ökonomischen Aufstieg, brachte aber gleichzeitig die zunehmende Abhängigkeit vom ägyptischen Markt mit sich. Trotz Versuchen, dem ägyptischen Einfluss zu widerstehen, integrierte die lokale Elite ägyptische Traditionen, die sowohl auf politischer Ebene in der Adoption ihrer Organisationsformen erkennbar sind als auch kulturell durch die Integration von Adelstiteln und Grabbeigaben, deren Ursprung der ägyptischen Tradition folgte.

ANCA DAN (Paris) erweiterte den Raum der Betrachtungen gen Osten und schritt chronologisch ebenso voran, indem sie über die Rezeption griechischer Literatur in zentralasiatischer Kunst referierte. Anhand einer Vielzahl detaillierter Abbildungen von Münzen, Tellern und Schalen zeigte sie verschiedene Aspekte des Kulturaustausches auf. Die Verbreitung der Texte über die „Seidenstraßen“ (bewusst im Plural) habe zu Kulturkontakten in ganz Zentralasien geführt. Die bildlichen Darstellungen hätten überwiegend Sequenzen aus homerischen Texten umgesetzt, teilweise auch Szenen von Sophokles und Euripides. Die sassanidischen Funde zeigten laut Dan beispielsweise, dass profunde Kenntnisse der zugrundeliegenden Literatur bei den Auftraggebern und beziehungsweise oder Künstlern angenommen werden könnten. Dies verbinde sich mit der sassanidischen Relieftechnik. Solche Befunde werfen beispielsweise die Frage nach den Biografien der Künstler mit diesem Wissen auf, die aufgrund der Quellenlage nicht beantwortet werden kann. Dan hob hervor, dass ein zusätzlich interessanter Aspekt die weitere Überlieferung der Texte über die Epoche selbst sei. Nachdem man über lange Zeit hinweg eine große Textnähe erkennen könne, stelle sich die Frage, wie diese hergestellt werden konnte, wie die Texte überliefert wurden und ob das in verschiedenen Sprachen geschah. Der Beitrag zeigte verschiedene Ausprägungen der Rezeption griechischer Literatur in der Kunst als Beispiel ausgeprägter Verflechtungen in einem großen geografischen und zeitlichen Zusammenhang auf.

HÉCTOR DANIEL JUÁREZ COSSÍO (Mexico-Stadt) stellte in seinem Vortrag das präkolumbianische mesoamerikanische Weltsystem anhand der Insel Jaina vor. Jaina, eine künstliche Insel, lokalisiert vor der Westküste Mexikos, präsentierte Cossío als Fallstudie, die in ihrer Ökonomie, Anthropologie und Archäologie Aspekte der Globalisierung verdeutliche. Im Laufe der Geschichte Jainas – von der ersten Besiedlung ab 300 n. Chr. bis zur Aufgabe um 1200 n. Chr. – entwickelte sich die Insel trotz peripherer Lage sowohl zu einem bedeutenden Zentrum des Kommerzes mit autonomen Gemeinden als auch zu einer Elitennekropole der Maya mit schätzungsweise 20.000 Gräbern. Die bisher vorgenommenen Ausgrabungen, in denen Keramikfiguren zutage kamen, die zusammen mit Glaswaren, Schiefer, handgewebten Baumwollmatten und anderen zeremoniellen Gegenständen den Toten im Jenseits dienen sollten, verhalfen zu Jainas Bekanntheit. Für die mesoamerikanische Forschung ist die Insel ein wichtiges Modell präkolumbianischen Netzwerke außerhalb eines europäischen Modells. Trotz vieler offener Fragen in Bezug auf die Ursachen und Akteure, die zum Niedergang Jainas führten, ist und bleibt die Insel ein faszinierendes Beispiel – und zwar nicht für eine Peripherie, sondern für Schnittstellen, die den kommerziellen und kulturellen Austausch in der Region förderten.

JÖRG SCHWARZ (Innsbruck) griff in besonders dichter Weise die Schlagwörter der Veranstaltung auf. Er thematisierte einerseits Verflechtungen und Globalisierungstendenzen im spätmittelalterlichen Europa und setzte sie in Beziehung zum allmählichen und dann immer stärker werdenden indirekten und schließlich direkten Ausgreifen okzidentaler Mächte in den Bereich des Vorderen Orients und weit darüber hinaus. Andererseits versäumte er nicht, immer wieder inhaltliche Rückkoppelungen der Potentaten des 15. Jahrhunderts an ihre eigene Vergangenheit und Legitimation zu betonen, nach der sie auch für ihr zeitgenössisches wirtschaftliches und machtpolitisches Ausgreifen suchten. Insofern gelang es Schwarz, zugleich auf hohem Niveau und facettenreich sowie direkt Bezug nehmend sowohl zur Themensetzung der Veranstaltung als auch zum generellen Schwerpunkt des Doktoratskollegs einen Begriff von der Globalgeschichte des Mittelalters zu entwerfen. Trotz der gebotenen Knappheit gelang es ihm, in höchst kurzweiliger Art neben einem die Zeit allgemein darstellenden Teil ebenso auf einige Titel, Thesen, und Tendenzen der entsprechenden Forschungslandschaft einzugehen. Dabei positionierte er sich einerseits pointiert sowohl zu seinem Verständnis des Vortragsgegenstandes, nach dem das Mittelalter als globales Zeitalter geendet habe, Globalisierungstendenzen sich handfest durch zeitgenössische Objekte greifen ließen und die islamische Welt in ihrer generellen und spezifisch auf das Vortragsthema bezogenen Wahrnehmung grundlegend neu rezipiert und in die Diskussion einbezogen werden müsse. Andererseits machte er seine Ansichten mit Blick auf die auch in der Mediävistik mittlerweile umfangreich betriebene Globalgeschichtsforschung deutlich: Sie sei zwar dringend vonnöten, um nicht nur Anschluss an die anderen Geschichtswissenschaften zu gewinnen, sondern auch, um das eigene Fach über den Tellerrand etablierter Forschungstraditionen und Fragestellungen hinaus zu profilieren. Gleichzeitig aber müsse und könne die gerade sich im Schwange befindliche Globalgeschichtsschreibung die Mediävistik nicht in einen Zustand überführen, in dem es ohne diese keine sinnvolle und vollständige Mittelalterforschung mehr gebe.

KATHRYN STEVENS (Oxford) stellte die methodische Auseinandersetzung mit den Begriffen der Globalisierung, des Lokalen und der Konnektivität in den Vordergrund. Diese methodischen Überlegungen verknüpfte sie mit einer Vielzahl von schriftlichen sowie materiellen Quellen und legte dar, dass sich in seleukidischer Zeit kulturelle Kontinuität und bewahrende Tendenzen feststellen ließen. Weit mehr aber seien Wandel und kultureller Austausch erkennbar, vor allem durch archäologische Funde. Schriftliche Quellen und archäologische Befunde würden zwar teilweise in unterschiedliche Richtungen deuten, doch müsse hier auch beachtet werden, dass die Quellensituation lückenhaft sei. Vor diesem Hintergrund wog Stevens die Stärken und Schwächen verschiedener methodischer Herangehensweisen im Kontext des Fallbeispiels Babylon ab. Griechische Einflüsse als die globale Seite der Entwicklung zu definieren habe demnach den Vorteil, den nicht unumstrittenen Begriff des Hellenismus zu vermeiden. Ferner lege der Begriff der Globalisierung den Fokus auf den Austausch beziehungsweise die Bewegung von Menschen und Gütern. Dies könne bei der Betrachtung kultureller Austauschprozesse eine gute Perspektive bieten. Dem Globalen gegenüber stehe das Lokale, das in diesem Fall als das Babylonische definiert werden könne. Hier sei indes ein methodisches Problem zu lösen: Denn eine strikt getrennte Betrachtung von Lokalem und Globalem verleite dazu, die Verbindungen zwischen den Ebenen beziehungsweise die gegenseitige Beeinflussung zu wenig systematisch zu betrachten. Eine weitere methodische Schwierigkeit sei der Begriff der Globalisierung und seine Definition. Es sei unklar, welche Anhaltspunkte dafür sprechen sollten, in der hellenistischen Welt einen definitiv globalisierten Charakter festzustellen, gerade wenn es um eine präzise methodische Anwendung gehe, die eine Abgrenzung zum modernen Verständnis von Globalisierung erfordere. Stevens resümierte, dass sich am Beispiel Babylons in hellenistischer Zeit definitiv eine hohe Konnektivität feststellen lasse. Dies sei ein wichtiger Befund, es erschien ihr aber als zu weit gehend, diese erhöhte Konnektivität mit Globalisierung gleichzusetzen. Bei dem komplizierten methodischen Rahmen steige die Gefahr, die – vor allem durch die Quellenlage – offenbleibenden blinden Flecken rein auf das Konzept passend zu füllen. Stevens bezweifelte außerdem, dass der Globalisierungsbegriff hier einen exklusiven methodischen Vorteil bieten könne, der über das hinausginge, was bisherige methodische Ansätze bereits leisteten.

JULIA BURKHARDT (München) schloss die Veranstaltung mit einem Vortrag über Herrschaftslegitimation in Zeiten ausgreifender machtpolitischer Räume und wachsender überregionaler Interkonnektivität am Beispiel des spätmittelalterlichen Ungarn. Besonderes Augenmerk legte sie dabei auf die personellen Netzwerke und materiellen Bezüge des ungarischen Königs Matthias Corvinus‘ insbesondere zu italienischen humanistischen Gelehrten. Es habe ihm daran gelegen, aus Ungarn ein zweites Italien zu machen. Insofern griff sie die Idee, die man hinter dem Titel des Doktoratskollegs auffassen kann, so direkt wie keiner der anderen Referenten auf.

In seinem knappen Schlusswort betonte Alexander Steiner zwei Ergebnisse: Erstens habe die Veranstaltung den Begriff entanglement geschärft. Zweitens allerdings hätten die breit gefächerten Beiträge Fragen hinsichtlich der Anwendbarkeit bzw. Praktikabilität des Begriffes Globalisierung aufgeworfen. Diese gäben dem Doktoratskolleg neue Fragen für zukünftige Projekte und Veranstaltungen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung und Eröffnungsworte

Erich Kistler/ Alexander Steiner (Innsbruck)

Luigi Turri (Verona): The Relationship Between the Levantine Coast and its Hinterland in the Context of LBA International Politics
Chair: Noah Kröll (Innsbruck)
Response: Andrea Pancheri (Innsbruck)

Anca Dan (Paris): Greek Literature in ‘Bactrian’ Art: An Introduction
Chair: Florian Posselt (Innsbruck)
Responses: Florian Posselt (Innsbruck) / Jessika Armbrüster (Innsbruck)

Héctor Daniel Juárez Cossío (Mexico-Stadt): Jaina: Notes on the Pre-Hispanic Economy from the Perspective of the Mesoamerican World System
Chair: Alexander Steiner (Innsbruck)
Response: Clemens Steinwender (Innsbruck)

Hannes Fellner (Wien): Language Contact and Language Change in the Silk Road Borderlands
Kommentar: Alexander Steiner (Innsbruck)

Jörg Schwarz (Innsbruck): Global Middle Ages: A Contradiction in Terms or a Current Necessity?
Chair: Felix Schulz (Innsbruck)
Responses: Nathalie Elthing (München) / Elisabeth Pangerl (Innsbruck)

Kathryn Stevens (Oxford): Local and ‘Global’ in Hellenistic Babylonia
Chair: Valentina Cambruzzi (Trient)
Responses: Valentina Cambruzzi (Trient) / Noah Kröll (Innsbruck)

Julia Burkhardt (Munich): Entangled Antiquities in Medieval Hungary: People, Objects and Ideas at the Royal Court of Matthias Corvinus and Beatrix of Aragón
Chair: Cassandra Lamche (Innsbruck)
Responses: Felix Schulz (Innsbruck) / Cassandra Lamche (Innsbruck)